Auf dem diesjährigen Fahrlehrerkongress in Berlin wird die aktuelle Reform des Fahrlehrerrechts zweifellos im Mittelpunkt vieler Gespräche, Vorträge und Diskussionen stehen. Wer jedoch in den letzten Monaten die Auseinandersetzungen in diversen Foren im Internet oder die einschlägigen Publikationen dazu verfolgt hat, mag an der Sinnhaftigkeit der Diskussionen zweifeln. Denn allzuoft stehen sich Gegner und Befürworter unversöhnlich gegenüber. Während die einen in Euphorie verfallen und auf eine goldene Fahrlehrerzukunft setzen, malen die anderen den Untergang des Abendlands an die Wand und beschwören einen Verlust an Verkehrssicherheit. Dabei scheinen häufig eher persönliche Eitelkeiten und Rechthaberei anstelle von sachlichen Erwägungen zu den teilweise völlig überzeichneten Einschätzungen zu führen.

Denn mit einem nüchternen Blick auf die Reform wird man schnell feststellen, dass uns die geänderten Paragrafen weder eine Vielzahl dringend benötigter Nachwuchskräfte bescheren werden noch dass sie uns die Fahrschulstrukturen von heute auf morgen komplett umkrempeln. Sicherlich sorgt die Reform für den so oft angemahnten Bürokratieabbau, sie senkt manche Hürden und schafft neue Möglichkeiten  der Zusammenarbeit. Das macht die deutschen Fahrschulen im besten Fall wirtschaftlich zukunfts- und überlebensfähig. Man sollte daher nicht, und sei es nur aus Nostalgie heraus, den Fehler begehen, Tagesnachweise, Berichtshefte oder vorhandene Führerscheine als eherne Garanten der Verkehrssicherheit hochzustilisieren. Solche Diskussionen  um das Klein Klein mögen für uns Fahrlehrer, die wir gerne mal im eigenen Saft schmoren, eine Rolle spielen, aber in der Politik und der Bevölkerung ernten wir eher Unverständnis als Zustimmung. Wir sollten nicht vergessen, dass die Politik nur den Rahmen setzt. Für Ausbildungsqualität, für Kunden- und mitarbeiterzufriedenheit, für Verkehrssicherheit, für Fahrlehrernachwuchs und für wirtschaftliche Stabilität sind letztlich wir als Fahrlehrer in unseren Fahrschulen selbst verantwortlich. 

Aber genau genommen ist die jetzige Reform nur eine Petitesse im Vergleich zu den eigentlich tiefgreifenden Reformen, die uns bevorstehen. Denn die Digitalisierung, die Globalisierung, der demographische Wandel und die Mobilitätsrevolution stellen uns vor ganz andere Herausforderungen. Die Zeiten, in denen mehr oder weniger ähnliche Kunden mit mehr oder weniger ähnlichen Bedürfnissen in die Fahrschule kamen, um mehr oder weniger ähnlichen Theorieunterricht und Fahrstunden zu genießen, sind schlicht vorbei.

Die heutigen Kinder werden eine völlig andere Führerscheinausbildung erleben. Quelle: Shutterstock
Die heutigen Kinder werden eine völlig andere Führerscheinausbildung erleben. Quelle: Shutterstock

Unsere Kunden werden nicht nur im Durchschnitt älter und kommen aus immer mehr Ländern, sondern sie sind auch an eine 24/7 Dienstleistungsmentalität gewöhnt. Sie erwarten, dass ihre Fahrschule rund um die Uhr auf allen Kommunikationskanälen erreichbar ist und verstehen nicht, warum wir keine Fahrstunden an Sonn- und Feiertagen anbieten (dürfen). Fahrschulen, die im google ranking erst auf Seite zwei auftauchen, die Anfragen nicht binnen weniger Stunden beantworten oder gar telefonisch nicht ganztags erreichbar sind, gehen im Wettbewerb schneller unter als Eis in der Sonne schmilzt.

Dann sind da die digitalen Lernmedien, die online-Fahrlehrerkalender, die social-media Kanäle, die Ausbildung mit Simulatoren, die Ergänzung durch Lernvideos, online-Lernstandsanzeigen, online-Bewertungsportale u.v.m. Die Ausbildungswelt verlagert sich mit rasanter Geschwindigkeit in die Tiefen des World Wide Web. Das wird auch Auswirkungen auf den seit vielen Jahren unveränderten Theorieunterricht haben. Nicht nur aufgrund der digitalen Möglichkeiten, sondern auch aufgrund des Fahrlehrerschwunds und der zumeist in der Arbeitswelt unbeliebten Unterrichtszeiten am Abend, wird sich Theorieunterricht ebenfalls in das Netz verlagern, ja sogar verlagern müssen. Es werden vermutlich gewisse Präsenzzeiten in der Fahrschule verbleiben, aber starre 14 Einheiten à 90 Minuten im Fall des Ersterwerbs der Klasse B oder Beschränkungen auf 2 Unterrichte pro Tag kann es nicht mehr geben. Wahrscheinlicher ist, dass man das Erlernen von Regelwissen daheim erledigt und dann vielleicht zu Erörterung, Vertiefung und Wiederholung diffiziler Fragestellungen für einen ganzen Tag in die Fahrschule geht (z.B. in den Ferien oder an den Wochenenden).

Mit der Verdrängung des Verbrennungsmotors ändert sich auch die Fahrausbildung. Quelle: Pixabay
Mit der Verdrängung des Verbrennungsmotors ändert sich auch die Fahrausbildung. Quelle: Pixabay

Auch in der praktischen Ausbildung kann kein Stein auf dem anderen bleiben. Das heutige System mit seinen etwas lieblos vorgegebenen besonderen Ausbildungsfahrten und einem groben Rahmenplan wird den gewandelten Anforderungen nicht mehr gerecht. Denn die Voraussetzungen der Fahrschulkunden variieren in bislang nicht gekannter Weise. Nehmen wir dazu zwei Beispiele: Schülerin 1 legt an ihrem 17. Geburtstag ihre praktische Prüfung  in München ab und fährt dort das erste Jahr im Großstadtdschungel nur in Begleitung ihrer Mutter, die sich gerade einen BMW X5 als Plugin-Hybrid mit allen modernen Assistenzsystemen zugelegt hat. Auf der anderen Seite nehmen wir Schüler 2, der an seinem 18. Geburtstag in einem ländlichen Gebiet seine Fahrprüfung absolviert und fortan alleine ohne Begleitung in einem 16 Jahre alten Opel Corsa zwischen verschiedenen Dörfern verkehrt. Für diese beiden Fahrschüler sind im Grunde genommen zwei völlig verschiedene Ausbildungen notwendig. In den letzten Jahren haben sich viele Parameter verändert: Begleitung oder nicht, urbanes oder ländliches Umfeld, privater oder beruflicher Einsatz, Automatikgetriebe oder Schaltwagen, Assistenzsysteme vorhanden oder nicht, Verbrennungs- oder Elektromotor usw. Die Varianz ist so groß geworden, dass die heutigen gesetzlichen Grundlagen und die Voraussetzungen in den Fahrschulen längst nicht mehr ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen.

Um sich dem Wandel anzupassen, liegt die eigentliche Herausforderung in den Fahrschulen und in der Fahrschülerausbildungsordnung. Lasst uns daher die Reform des Fahrlehrergesetzes nun als einen ersten Schritt begreifen, auch wenn uns nicht immer alles passt, was dort verankert ist. Und lasst uns dann die eigentliche Arbeit anpacken, die vor uns liegt und die wirklich große Auswirkungen auf Ausbildungsqualität und Verkehrssicherheit haben wird.   

 

 

Sascha Fiek
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Autor

Gründer des Blogs Fahrlehrerwelt, Fahrlehrer aller Klassen und Geschäftsführer der ACADEMY Fahrschule Fiek GmbH in Freiburg. Er betreibt auch einen persönlichen Blog unter www.saschafiek.de.

Kommentare

  1. Heinz Bendschneider Antwort geben.

    Sascha,
    diese Sichtweise teile ich vollumfänglich . Kompliment !
    Leider werden die tatsächlichen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Prüforten, -siehe Stadt Land- Beispiel, nicht nur beim Tüv -Kaffee durch handwerklich technisch orientiertes Prüfer -Personal vorgegeben.
    Die jüngere Fahrlehrerschaft hat sich dem leider längst untergeordnet.
    Nicht einmal das begleitete Fahren wurde in Art und Umfang , von den Fahrlehrern und dessen Funktionären angemessen umgesetzt.

  2. Es gibt viele und neue Aufgaben für unseren Berufsstand.
    Nehmen wir die Herausforderung an.
    Bei uns im Westerwald wird der BF 17 sehr gut umgesetzt. Ca 80% der Ersterwerber nutzen bei uns und auch bei meinen Kollegen diese Möglichkeit.

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